Nachdem ich nicht so oft mit Predigen dran bin, werde ich hier auch ältere Predigten einstellen. Die folgende ist nicht so furchtbar alt, sie ist vom 8. Juli 2018. Im Grunde auch eine Themenpredigt, diesmal über die Frage, was die Taufe eigentlich bedeutet.
Was man so Zufall nennt…
Liebe Gemeinde, vor ein paar Wochen kam eine Mail bei mir an mit der Anfrage, ob ich den Nico am heutigen Sonntag taufen kann. Klar, warum nicht. Ich sagte zu, und dann sah ich mir die Texte für den heutigen Sonntag an. Tja, was soll ich sagen: Der 6. Sonntag nach Trinitatis hat als Thema: die Taufe. Das wussten die Eltern von Nico natürlich nicht – es ist uns allen einfach so zugefallen. Und es ist natürlich ausgesprochen sinnvoll, heute nicht nur über die Taufe zu reden, sondern auch eine Taufe praktisch zu vollziehen. Besser kann es nicht passen – was man eben so Zufall nennt.
Jetzt haben wir den Nico also getauft. Nachdem Nico kein Kleinkind mehr ist – er kommt im Herbst in die Schule –, habe ich nicht nur seine Eltern und Paten gefragt, ob er denn getauft werden soll und ob sie ihn begleiten wollen in seinem Aufwachsen in Glauben und Leben. Ich habe ihn auch selbst gefragt, ob er an Gott glaubt und an Jesus und ob er getauft werden möchte. Und er hat ja gesagt.
Nun könnte man natürlich fragen: Ist ein Junge mit sechs Jahren nicht noch viel zu klein dazu, weiß er denn überhaupt, was er da zugesagt hat?
Ich frage dagegen: Weiß denn eine 30-Jährige so genau, was das ist: aufwachsen im Glauben an den dreieinigen Gott? Weiß es ein 70-Jähriger, was er damit sagt, wenn er bekennt: Ich glaube an Gott!?
Wissen Sie das so genau? Wissen Sie, was das heißt: an Gott glauben? Ich muss sagen: Ich habe zwar eine gewisse Vorstellung davon, was ich meine, wenn ich das Wort Gott ausspreche. Aber das Einzige, was ich sicher weiß, ist dies: Gott ist immer noch ganz anders, viel größer, viel geheimnisvoller, als ich mir das jemals vorstellen kann. Und noch etwas ist ziemlich sicher: Wenn ich heute von Gott spreche, dann habe ich dabei ein anderes Bild vor Augen als mit 30 oder mit 18 oder mit sechs Jahren. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir sagen: Im Blick auf den Glauben sind wir immer auf dem Weg, und in diesem Leben werden wir nie den Punkt erreichen, an dem wir sagen könnten: Jetzt bin ich angekommen. Jetzt weiß ich alles über Gott. Im Prinzip unterscheiden wir „Großen“ uns da gar nicht von einem „Kleinen“. Im Blick auf Gottes Geheimnis bin ich im Prinzip genauso weit oder genauso am Anfang wie Nico.
Und darauf kommt es ja auch gar nicht an. Um getauft zu werden, braucht es kein ausgefeiltes, theologisch korrektes, fundiertes Wissen über Gott und Jesus und die allerheiligste Dreifaltigkeit. Es braucht im Grunde nichts als die Offenheit, die Bereitschaft, sich einzulassen auf das, was mir das Leben über Gott beibringen wird.
Deswegen können wir auch Säuglinge taufen, also Kinder, die noch gar nicht ja oder nein sagen können zu dem, was wir mit ihnen tun. Und damit, dass wir so ganz kleine Kinder taufen, sagen wir noch etwas anderes. Wir sagen damit: Gottes Ja ist
immer schon da, noch bevor ich selbst überhaupt
ja oder nein sagen kann. Gott achtet nicht darauf, dass ich mich für ihn entscheide – und dann erst sagt er auch ja. Gott sagt immer schon ja zu mir. „Da ich noch nicht geboren war, da bist du mir geboren“, heißt es in einem Weihnachtslied, „und hast mich dir, zu Eigen gar, eh ich dich kannt‘, erkoren.“ Genau. Lange bevor ich überhaupt wusste, was das Wort Gott bedeutet, hat Gott schon ja zu mir gesagt. Und zu Nico und zu euch allen, die ihr hier in der Kirche seid, und damit hört es lange nicht auf.
Manche Kirchen sehen das anders. Die Baptisten und andere Kirchen taufen Menschen erst, wenn sie sich bewusst entscheiden können für den Glauben. Das kann man so sehen und kann es so machen. Wir Lutheraner aber und die Katholiken und die Orthodoxen, wir betonen, dass Gott immer den ersten Schritt macht. Und dass es nicht an unserer Entscheidung liegt, ob wir zu Gott gehören oder nicht.
Was weiß denn ein 30-Jähriger darüber, was es heißt, im Glauben zu leben? So habe ich vorhin gefragt. Dabei ist mir eine Geschichte eingefallen, eine Geschichte aus der Zeit, als ich ein junger Pfarrer in St. Lukas war. Es muss dreißig Jahre her sein oder länger. Wir hatten damals in St.
Lukas die Nachtkirche eingeführt, ein meditatives Nachtgebet, jeden Donnerstag um 22 Uhr, ja: jeden Donnerstag. Die Kirche ist nur von Keren erhellt, es gibt zwei, drei Taizé-Lieder, eine Lesung, ein bisschen Musik und vor allem die Stille, den
großen, stillen, fast stockdunklen Raum. Diese Nachtkirche gibt es übrigens bis heute, auch diese Woche wieder. Wenn Sie neugierig geworden sind, können sie ja mal hingehen.
Eines Donnerstags kam nach der Nachtkirche ein junger Mann auf mich zu, ungefähr 30 Jahre alt. Und er sagte: „Können Sie mich taufen?“
„Na klar“, sagte ich.
„Jetzt?“
„Wie, jetzt? Jetzt gleich?“
Ich war baff. Aber der junge Mann schien es ernst zu meinen. Und während ich noch zögerte, sagte er: „Was spricht denn dagegen?“
Und mit dieser Frage hatte er mich erwischt. Mir fiel eine Geschichte ein aus der Bibel, aus der Apostelgeschichte, und diese Geschichte ist für den heutigen Sonntag als Predigttext vorgesehen. Das war jetzt ein langer Anlauf, aber nun kommt er, der Predigttext, aus der Apostelgeschichte, Kapitel 8:
Aber der Engel des Herrn redete zu Philippus und sprach: Steh auf und geh nach Süden auf die Straße, die von Jerusalem nach Gaza hinabführt und öde ist. Und er stand auf und ging hin. Und siehe, ein Mann aus Äthiopien, ein Kämmerer und Mächtiger am Hof der Kandake, der Königin von Äthiopien, ihr Schatzmeister, war nach Jerusalem gekommen, um anzubeten. Nun zog er wieder heim und saß auf seinem Wagen und las den Propheten Jesaja.
Der Geist aber sprach zu Philippus: Geh hin und halte dich zu diesem Wagen! Da lief Philippus hin und hörte, dass er den Propheten Jesaja las, und fragte: Verstehst du auch, was du liest? Er aber sprach: Wie kann ich, wenn mich nicht jemand anleitet? Und er bat Philippus, aufzusteigen und sich zu ihm zu setzen. Die Stelle aber der Schrift, die er las, war diese (Jesaja 53,7-8): »Wie ein Schaf, das zur Schlachtung geführt wird, und wie ein Lamm, das vor seinem Scherer verstummt, so tut er seinen Mund nicht auf. In seiner Erniedrigung wurde sein Urteil aufgehoben. Wer kann seine Nachkommen aufzählen? Denn sein Leben wird von der Erde weggenommen.«
Da antwortete der Kämmerer dem Philippus und sprach: Ich bitte dich, von wem redet der Prophet das, von sich selber oder von jemand anderem? Philippus aber tat seinen Mund auf und fing mit diesem Schriftwort an und predigte ihm das Evangelium von Jesus. Und als sie auf der Straße dahinfuhren, kamen sie an ein Wasser. Da sprach der Kämmerer: Siehe, da ist Wasser; was hindert’s, dass ich mich taufen lasse? Und er ließ den Wagen halten und beide stiegen in das Wasser hinab, Philippus und der Kämmerer, und er taufte ihn. Als sie aber aus dem Wasser heraufstiegen, entrückte der Geist des Herrn den Philippus und der Kämmerer sah ihn nicht mehr; er zog aber seine Straße fröhlich.
„Was hindert’s, dass ich getauft werde?“ Diese Frage des Kämmerers schoss mir sofort durch den Kopf. Und wie es der Zufall wollte – was man eben so Zufall nennt –, es waren zwei Kirchenvorsteherinnen in der Nachtkirche, die ich fragen konnte, was sie davon halten. Und gemeinsam beschlossen wir, den jungen Mann tatschlich zu taufen. Er war vor kurzem aus der DDR gekommen – über Ungarn oder Jugoslawien, es war noch vor dem Mauerfall. Er wusste nicht viel über den Glauben, aber er wollte getauft werden. Und so haben wir ihn gemeinsam auf diesen Weg, diese Straße gesetzt, auf der der Kämmerer aus Äthiopien unterwegs war und auf der wir alle unterwegs sind, in der Hoffnung, dass es auch für diesen jungen Mann gilt: Er zog aber seine Straße fröhlich.
Was ist da eigentlich geschehen, als wir diesen jungen Mann getauft haben? Natürlich, er wurde in die Kirche aufgenommen, in die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern und in die unsichtbare Kirche, den mystischen Leib Christi. In früheren Zeiten hätte man vielleicht noch gesagt: Der junge Mann wurde dadurch vor dem Verderben gerettet, er hatte jetzt die Aussicht auf das Ewige Leben, die er vorher nicht hatte, weil er vorher ja nicht zu Jesus Christus gehörte. Ja, früher hat man das so gesehen und auch heute noch sehen das manche so. In Zeiten oder an Orten oder in Gemeinden, in denen das Drinnen – Draußen eine Rolle spielt, die von dem Gegensatz zwischen Drinnen und Draußen geprägt sind, da hat man das so gesehen und sieht es heute noch so. Also so: In der Taufe hat Gott diesen jungen Mann als sein Kind angenommen, und dadurch ist er gerettet.
Der Umkehrschluss würde dann heißen: Alle, die nicht getauft sind, gehen verloren. Alle, die nicht durch die Taufe zu Jesus Christus gehören, fahren, drastisch gesprochen, zur Hölle. Diese Vorstellung, dieser Glaube hat den ersten Christen diesen umwerfenden und unwiderstehlichen missionarischen Schwung gegeben, und auch heutige Gemeinden, die geprägt sind von diesem Gegensatz zwischen Drinnen und Draußen, zwischen gerettet und verloren, solche Gemeinden entwickeln auch heute oft einen ungeheuren missionarischen Drive und versuchen möglichst viele Menschen zu ihrem Glauben, zu ihrer Gemeinde zu bekehren. Um sie zu retten.
Um ehrlich zu sein: Ich glaube das nicht. Ich glaube nicht, dass all die Menschen, die – aus welchen Gründen auch immer – von meinem Gott nichts erfahren, dass die eben Pech gehabt haben. Ich glaube nicht, dass alle, die an etwas anderes glauben als an „meinen“ Gott, verloren gehen. Vielmehr bin ich der festen Überzeugung, dass Gott alle seine Menschen liebt, ob sie ihn kennen oder nicht, ob sie seine Liebe erwidern oder nicht. Was wäre das denn für ein Vater, der sein Kind verstößt, weil es ihn nicht wiedererkennt oder weil es bockt oder weil es sich wütend oder gelangweilt oder enttäuscht von ihm abwendet?
Ich glaube nicht, dass Nico heute durch die Taufe Gottes Kind wurde. Das war er schon immer. Schon von seiner Zeugung an war Nico nicht nur das Kind seiner Eltern, sondern auch das Kind Gottes. In der Taufe heute haben wir das allerdings öffentlich und persönlich bekanntgegeben: Nico B., ein Kind des ewigen Gottes. Was also schon längst und schon immer gegolten hat, haben wir heute für alle sichtbar und hörbar festgestellt.
Wozu braucht es das dann aber? Wenn Nico schon immer Gottes Kind war und schon immer zu Gott gehört hat wie eben ein Kind zu seinen Eltern gehört, wozu haben wir ihn dann noch getauft?
Ich glaube, das ist so wie beim Heiraten. Ein Mann und eine Frau (oder eine Frau und eine Frau, ein Mann und ein Mann) können zusammenleben, sie können einander lieben und das Leben teilen, und einander treu sein ein Leben lang, auch ohne verheiratet zu sein. Aber: In der Hochzeit geben sie es öffentlich bekannt. Sie bekennen sich zueinander, sie versprechen vor Familien und Freunden und vor Gott und seiner Gemeinde, dass sie beieinander bleiben wollen. Und viele Paare, die vorher schon lange zusammen waren, sagen: Es hat sich tatsächlich etwas geändert. Es fühlt sich anders an.
Und das hat dann auch institutionelle Konsequenzen – beim Erbrecht etwa, oder wenn eins von beiden im Krankenhaus liegt, darf die Ärztin den Ehemann und die Ehefrau informieren. Und auch das Finanzamt behandelt sie nun anders als vorher.
So ähnlich ist es auch mit der Taufe. Natürlich war der Nico auch bisher schon Kind Gottes – nicht nur Kind seiner Eltern. Aber jetzt ist es sozusagen offiziell. Bekanntgegeben und durch ein Ritual bekräftigt vor euch, der Gemeinde.
Und das hat dann ebenfalls institutionelle Konsequenzen. Nicolaus Bauer ist nun eingetragenes
Mitglied der Kirche. Er kann später bei der Kirchenvorstandswahl mitmachen, er kann wählen und gewählt werden. Und er muss Kirchensteuer zahlen, wenn er mal Geld verdient. Aber vor allem: Er
gehört dazu, er ist jetzt ein Mitglied dieser Gemeinde, die dieses Verständnis von Gott und seiner Liebe hat.
Gott hat Nico auch vorher geliebt, mit der unendlichen Liebe, mit der Gott alle seine Kinder liebt, die getauften wie die nicht getauften. Aber jetzt ist es ihm noch einmal auf den Kopf zugesagt worden. Sein Name ist mit dem Namen des dreieinigen Gottes in einem Atemzug genannt, in einen Zusammenhang gesprochen worden. Das hat sich geändert. Und wenn es gut geht, ist Nico, ja: Wenn es gut geht, sind wir alle, die wir getauft sind, auf einen Weg gesetzt, von dem es heißen kann: Er zog seine, sie zog ihre Straße fröhlich.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Bruder, dem Erstgeborenen unter uns Kindern Gottes. Amen.
Bildnachweis: https://www.trinitatiskirche-loeningen.de/wir-fuer-sie/taufe.html