Brot des Lebens

Predigt, gehalten am 20. Juli 2017 in St. Markus München

Johannes 6, 30 – 35

Da sprachen sie zu ihm: Was tust du für ein Zeichen, auf dass wir sehen und dir glauben? Was wirkst du? Unsre Väter haben Manna gegessen in der Wüste, wie geschrieben steht (Psalm 78,24): »Brot vom Himmel gab er ihnen zu essen.« Da sprach Jesus zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Nicht Mose hat euch das Brot vom Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel. Denn dies ist das Brot Gottes, das vom Himmel kommt und gibt der Welt das Leben. Da sprachen sie zu ihm: Herr, gib uns allezeit solches Brot. Jesus aber sprach zu ihnen: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.

Liebe Gemeinde,

Ich bin das Brot des Lebens. Und vorhin, als Evangelium, die Geschichte von der Speisung der Fünftausend. Das sind Texte, die klassischerweise aufs Abendmahl hin gedeutet werden. Nun steht auf dem Altar aber kein Abendmahlsgeschirr und es ist auch kein Abendmahlsgottesdienst angekündigt. War das nun ein Versehen, oder ist das nur eine seltsame Kapriole, die sich aus der Kombination des allgemein gültigen liturgischen Kalenders mit der Gottesdienstplanung von St. Markus in München ergeben hat?

Natürlich steht genau das dahinter. Aber wir Menschen haben ja immer das Bedürfnis, das, was uns begegnet, mit Sinn aufzuladen. Deswegen habe ich nach einer Erklärung gesucht, die dem Zufall einen Sinn einhaucht, und, o Wunder, es ist mir gelungen. Das Abendmahl ist ja ein Ritual, und ein Ritual erklären und ein Ritual vollziehen, das sind zwei grundverschiedene Dinge. Also will ich heute über das Abendmahl reden, und ein andermal werden wir es wieder gemeinsam feiern, und das ist gut so. Basst scho, wie der Bayer sagt.

Also, das Abendmahl. Es ist ein Sakrament, eins von zwei Sakramenten, die die evangelische Kirche kennt. Und was ist ein Sakrament? Die Lehrbuchantwort lautet: Ein Sakrament ist eine Handlung, für die es a) einen Auftrag von Jesus selbst gibt, im Neuen Testament überliefert, und b) ein äußeres, materielles Zeichen. Beides ist gegeben – der Auftrag von Jesus: „Tut dies zu meinem Gedächtnis“, und das materielle Zeichen: Brot und Kelch samt Inhalt.

Aber das erklärt noch gar nichts. Also noch mal von vorn.

In dem Wort „Sakrament“ steckt das lateinische Wort „sacer“, das im Deutschen mit „heilig“ wiedergegeben wird. Also eine heilige Handlung.

Und jetzt wird’s spanend. Was heißt das denn, eine heilige Handlung? Ist das etwas, was uns über den Alltag hinaushebt in himmlische Sphären, etwas, das uns gewissermaßen entrückt? Etwas, das uns Gott näher bringt?

Nein, nein, nein.

Wir können Gott gar nicht nähergebracht werden als wir es ohnehin schon sind. Wir müssen Gott nicht näherkommen, denn Gott ist uns schon nahe, so nahe wie nichts und niemand sonst. Näher als wir uns selbst sind. Gott ist immer in und bei uns. Und wie oft bin ich selbst in und bei mir? Die meiste Zeit bin ich doch gar nicht bei mir selbst. Ich bin irgendwo, in der Zukunft oder in der Vergangenheit, aber nicht hier, bei mir. Nur Gott, der ist schon immer da, hier bei mir, in mir, hier auf der Erde.

Denn Jesus hat Gott auf die Erde gebracht. Oder besser: In ihm wurde ganz deutlich, dass Gott nicht in himmlischen Sphären schwebt, abgehoben von dem irdischen Getümmel. Gott ist dabei. Immanuel – das ist Hebräisch und heißt: Gott ist bei uns. Und das ist die tiefste Wahrheit unseres Glaubens. Wir müssen Gott nicht näher kommen, wir können es gar nicht, denn Gott ist schon immer hier.

Etwas davon höre ich auch in dem Abschnitt, der heute als Predigttext vorgegeben ist. „Dies ist das Brot Gottes, das vom Himmel kommt.“ Es bleibt nicht dort droben, es kommt vom Himmel herab. Und damit macht das Brot Gottes genau das, was Gott auch macht. Und das Brot des Lebens, Jesus, macht dasselbe.

Sicher kennen Sie das Märchen vom Fischer un siner Fru. Die ist mit nichts zufrieden, sie will immer mehr. Am Ende will sie sein wie Gott. Und, pardauz!, sitzt sie wieder in ihrem Pissputt, in ihrer schäbigen Hütte. Früher dachte ich immer, das sei eine Strafe für die Hybris, den Hochmut und die Anmaßung der Frau. Aber nein, ihr Wunsch ist ihr wörtlich erfüllt worden. Denn Gott ist nicht in einem prächtigen Palast, prächtiger als der des Kaisers und des Papstes zusammen. Gott wohnt unter uns, in unserem erbärmlichen Pissputt.

Und dafür steht die Person Jesus Christus. Wir Christen glauben, dass in ihm Gott auf die Erde gekommen ist. Am Anfang des Johannesevangeliums stehen die bekannten Worte: Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns. Genau. Das ist die Inkarnation, die In-Carnatio, die Ein-Fleischung. Jesus ist einer wie wir, ein Mensch durch und durch. Wahrer Mensch, sagt das Nizänische Glaubensbekenntnis. Und gleichzeitig – gleichzeitig! – ist Jesus Christus wahrer Gott. Er nennt Gott seinen Vater und er ermutigt uns, ebenfalls Vater zu sagen zu Gott. Wir tun das in jedem Gottesdienst, mindestens. Wir sind Gottes Kinder, genauso wie Jesus Gottes Sohn war und ist. Denn die Inkarnation, die beschränkt sich nicht auf diese dreißig Jahre, in denen der historische Mensch Jesus aus Nazareth über die Erde ging. In Jesus Christus, der zweiten Person des dreieinigen Gottes, ist die menschliche Natur, das menschliche Wesen, in Gott aufgehoben, so sagt es die altkirchliche Tradition seit dem vierten Jahrhundert. Und am menschlichen Wesen, an der menschlichen Natur, haben wir alle Anteil, einfach weil wir Menschen sind. So sind auch wir unserem Wesen nach aufgehoben in Gott.

Ich springe wieder zurück zum Thema Abendmahl. Der christliche Glaube besagt ja, dass uns in dieser Handlung, in diesem Sakrament, Jesus selbst begegnet. Aber auch hier müssen wir aufpassen, dass wir Jesus und seine Nähe nicht reduzieren auf diese heilige Handlung. Wir dürfen ihn nicht gewissermaßen einsperren in diese Hostie und dieses Schlückchen Wein oder Saft alle vierzehn Tage am Sonntag. Jesus sagt: Solches tut, sooft ihr’s trinket, zu meinem Gedächtnis. Ich verstehe das so: Jedes Mal, wenn wir essen und trinken, jedes Mal, wenn wir gemeinsam zusammensitzen, dann ist er anwesend. Wir dürfen ihn nicht aussperren aus unserem Alltag in diese eine Stunde am Sonntagvormittag und in dieses Ritual. Gott lässt sich nicht aussperren aus unserem Leben und er lässt sich nicht einsperren in einen Tabernakel, einen heiligen Schrank. Deswegen hat Martin Luther den Tabernakel abgeschafft – er sagte sehr richtig: Christus ist nicht in der Hostie drin, er kommt zu uns, wenn wir im Glauben an sein Wort in der Gemeinschaft der Gläubigen das Brot essen. Also, die Hostie an sich ist nichts weiter als ein Stückchen ungesäuertes Brot. Nichts von heilig, wenn nicht alles heilig ist.

In einem Seminar, in dem es ums Abendmahl ging, da habe ich das einmal besonders deutlich erfahren. Wir sprachen nicht nur über das Abendmahl, wir feierten es auch. Wir saßen im Kreis, etwa fünfzehn oder zwanzig Leute, und dann nahm der Leiter das Brot (manche wissen schon, was jetzt kommt). Und während er sagte: Das ist mein Leib, machte er eine ausladende Geste. Das ist mein Leib, ihr alle, die ihr hier im Kreis beieinander sitzt, ihr seid der Leib Christi. Ihr seid es, durch die Christus in die Welt kommt, heute. Ihr seid es, wir sind es, die Gott ins Leben bringen. Wenn wir es nicht tun, wer soll es dann tun?

Und noch etwas. Jesus sagt: Ich bin das Brot des Lebens. Das meint er durchaus auch wörtlich. Es ist sicher kein Zufall, dass in demselben Kapitel, in dem dieses Wort überliefert wird, am Anfang von der Speisung der fünftausend erzählt wird. Jesus macht die Menschen satt, buchstäblich. Es will nicht, dass sie hungern. Er will nicht, dass irgendjemand hungert. Deswegen haben die Christen von allem Anfang an Armenspeisungen vorgenommen. Sie haben buchstäblich hungrigen Menschen zu essen gegeben, und das ist bis heute so. In der Münchner Insel haben wir eine Liste von Stellen, wo man in München kostenloses Essen bekommen kann, und da stehen fast ausschließlich Klöster und kirchliche Einrichtungen drauf. Das ist kein Zufall, sondern gehört zu den Kernaufgaben der Christen. Und glücklicherweise entdecken manche evangelische Kirchen diese Aufgabe auch wieder, indem sie sich als Vesperkirchen verstehen und hungrigen Menschen Essen servieren.

Auch das Abendmahl war ursprünglich ja nicht dieses im wörtlichen Sinn abgespeckte Ritual. Zu Zeiten des Paulus, da kam die Gemeinde abends zusammen und jeder, der konnte, brachte etwas zu essen mit. Dann wurde das Essen geteilt und wer nichts mitbringen konnte, bekam von den anderen, die mehr hatten. Leider hat das schon damals nicht reibungslos funktioniert. Paulus schimpft die Korinther in einem seiner Briefe, dass die Reichen, die nichts zu tun haben, früh am Abend zusammenkommen und spachteln. Und wenn dann die Hafenarbeiter, die bis spät schuften müssen, verschwitzt und hungrig ankommen, ist nichts mehr übrig außer dem rituellen Brotstückchen und dem Schlückchen aus dem Kelch. So nicht, sagt Paulus. Das ist nicht im Sinn von Jesus. Es kommt nicht darauf an, liturgisch korrekt ein heiliges Ritual zu begehen. Es kommt darauf an, zu teilen. Sonst können wir uns das Ritual auch sparen. Ja, so gesehen ist es gut, dass wir heute übers Abendmahl sprechen und es nicht feiern. Da können wir uns noch mal gut überlegen, was außer der liturgischen Handlung eigentlich dazugehört.

Und trotzdem finde ich, es ist wichtig, dass wir das Abendmahl auch feiern. Dass wir dieses Ritual begehen, zu einer festgelegten Zeit nach einem festen Ablaufplan mit festgelegten Worten und Gesten. Denn recht verstanden, kann so ein Ritual wie ein Konzentrat sein, das dann im Alltag verdünnt erst richtig genießbar wird. So wie ein Sirup. Von einem Sirup kann man auch nur einen wönzigen Schlock zu sich nehmen. Erst wenn er 1 : 10 mit Wasser verdünnt wird, wird der Himbeersirup zum Skiwasser. So ist es mit dem Abendmahl und mit allen Ritualen, die wir hier in der Kirche begehen. Wirksam, hilfreich, sättigend und Durst löschend werden sie erst dann, wenn sie im Alltag, verdünnt, eingesetzt werden. Und trotzdem brauchen wir das Konzentrat immer wieder. Um uns zu vergewissern. Um uns erinnern zu lassen. Zum Beispiel daran, dass das Brot des Lebens nicht eine himmlische Seelenspeise ist, sondern das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist, um echte Menschen zu sättigen. Dann erst, wenn wir uns daran beteiligen, dass hungrige Menschen satt werden, dann erst können wir richtig Abendmahl feiern.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne und unseren hungrigen Körper in Christus Jesus, dem Brot des Lebens, das vom Himmel herabgekommen ist.

Amen.

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